NÜRTINGEN. Wenn „Asturias“ von Isaac Albéniz auf dem Marimbaphon erklingt und der südamerikanische Waldgeist Iurupari mit den Menschen seinen Schabernack treibt, dann haben sich die Sängerinnen und Sänger vom Nürtinger „coro per resistencia“ wieder etwas Besonderes ausgedacht – und diesmal gemeinsam mit ihrem Interims-Chorleiter Mihály Zeke auf die Bühne gebracht. Am Sonntagabend konnte sich ein vielköpfiges Publikum im Großen Saal der Rudolf-Steiner-Schule davon überzeugen, dass auch brasilianische Chormusik für den kleinen, aber feinen Nürtinger Chor kein unüberwindbares Hindernis darstellte. Unterstützt wurde er dabei von dem brasilianischen Tenor Ewandro Stenzowski und der Marimbaphonistin Vanessa Porter.
Als Einstieg in das etwas mehr als einstündige Konzert intonierte der Chor das „Ave Maria“ des großen brasilianischen Komponisten Heitor Villa-Lobos in lateinischer Sprache. Nach der grandiosen Marimbaphon-Interpretation von Isaac Albeniz’ „Asturias“ – virtuos und inspiriert gespielt von Vanessa Porter – sang der Chor, ebenfalls in Latein, den „Psalm 150“ in einer Vertonung von Ernani Aguiar.
Die herausragende positive Überraschung des Abends jedoch begegnete dem Publikum in Person und Stimme des 28-jährigen aus Brasilien stammenden Tenors Ewandro Stenzowski, der zurzeit in Stuttgart studiert. Der glänzte zunächst mit vier Liedern von Heitor Villa-Lobos, souverän am Flügel begleitet von Mihály Zeke. Zwei ebenfalls von Villa-Lobos vertonte Legenden um den im Amazonasgebiet hausenden Dämon Iurupari – interpretiert vom „coro per resistencia“ – erzählten anschließend davon, wie dieser teuflische Tunichtgut nichts anderes im Sinn hat, als die Menschen in die Irre zu führen.
Mit einer beeindruckenden Stimmkraft und Musikalität wusste Stenzowski seine Zuhörer auch in dem später folgenden Zyklus aus fünf Liedern brasilianischer Komponisten des späten 19. und des 20. Jahrhunderts davon zu überzeugen, dass diesen Sänger möglicherweise eine große Zukunft auf den Bühnen der Welt erwartet. Auch Vanessa Porter stellte noch einmal – kongenial unterstützt von Mihály Zeke am Flügel – ihr Können am Marimbaphon mit dem ersten Satz eines von Ney Rosauro für dieses Instrument verfassten Concerto unter Beweis.
Der Rest des Abends blieb dann dem „coro“ vorbehalten, dessen Mitglieder zusammen mit ihrem für den etatmäßigen Chorleiter Felix Schuler-Meybier, der für ein halbes Jahr ein Auslandssemester in der Schweiz absolviert, eingesprungenen Dirigenten Mihály Zeke den Beweis erbrachten, dass sich die intensive Übungsarbeit der letzten Monate ohne jeglichen Abstrich gelohnt hat. „Sechs Stücke für sechs gemischte Stimmen“ bildeten die von Heitor Villa-Lobos in Töne gesetzte Sprüchesammlung „Bendita Sabedoria“, die der Chor mit viel Gefühl intonierte. Abschließend erklang der Candomblé-Gesang „Ofulú Lorêrê“ von Oswaldo Lacerda, den der Chor nach einem nicht enden wollenden Applaus als Zugabe noch einmal zelebrierte.
Erfolge ermutigen, und so manche Zusammenarbeit mit Solisten oder Ergänzungsmusikern schafft Freundschaften oder zumindest Beziehungen, deren Früchte vielleicht noch nicht gar zu schnell abgeerntet sein werden. Man darf also hoffen, dass einem Wiedersehen und -hören mit Vanessa Porter, Ewandro Stenzowski oder Mihály Zeke nichts entgegensteht. Mit ziemlicher Sicherheit jedoch wird im Lauf des Jahres von den Sängerinnen und Sängern des „coro per resistencia“ Neues und Spannendes zu erwarten sein. Laut einer im Programmheft abgedruckten Information wird das nächste Projekt des Chores baltische und skandinavische Gesangsliteratur zusammenführen. Man darf also gespannt sein.
Heinz Böhler, Nürtinger Zeitung v. 31.1.2012