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Gilgamesch-Epos

Am kommenden Samstag, 7. Februar, wird der coro per resistencia gemeinsam mit den Münchner Chören MiCS (Munich International Choral Society) und Regenbogenchor in der Nürtinger Johanneskirche das Gilgamesch-Epos von Bohuslav Martinů aufführen. Zusätzlich zur Nürtinger Aufführung wird es am 1. März ein zweites Konzert in der Aula der Ludwig-Maximilians-Universität in München geben. Karten für die Nürtinger Aufführung sind noch bis Freitag im Stadtbüro der Nürtinger Zeitung, Am Obertor 15, Tel. 07022 9464 -150, www.ntz.de/tickets,  unter karten@coro-nuertingen.de sowie am Samstag ab 18 Uhr an der Abendkasse erhältlich. Karten für das Konzert in München unter www.muenchenticket.de.

Gilgamesch_internet

Gleich vier Ensembles haben sich zusammengeschlossen, um mit „Gilgamesch“ ein zentrales Werk für Chor und Orchester des 20. Jahrhunderts aufzuführen: Der coro per resistencia aus Nürtingen, die Munich International Choral Society, der Regenbogenchor München und das Orchester Musica Viva Stuttgart bündeln ihre musikalische Kräfte, um die schillernde Vertonung von Episoden aus dem frühesten bekannten Epos der Menschheit durch den tschechischen Komponisten Bohuslav Martinu (1890-1959) in der deutschsprachige Fassung zu Gehör zu bringen.

Bereits in den 1920er Jahren befasste Martinu sich in der Ballettmusik „Istar“ mit Stoff aus dem altertümlichen Zweistromland. In seiner letzten Schaffensphase – nach einem bewegten Leben, das ihn nach Frankreich, ab 1940 in die USA und später wieder nach Europa führte – komponierte er dann „Das Gilgamesch-Epos“. Dieses der Schweizer Mäzenin Maja Sacher gewidmete Werk wurde 1958 in Basel uraufgeführt. Plastisch und mit sehr einprägsamen, teilweise durch den Jazz inspirierten Rhythmen und Harmonien schildert Martinu die uralte Geschichte, die universale Themen unseres Seins berührt: Es geht um Macht, Freundschaft und die Frage nach dem Leben nach dem Tod. Im ersten Abschnitt wird Gilgamesch, der König von Uruk, mittels differenzierter Perkussion und schneller Gesangsfolgen präsentiert. Der Chor, der das Volk symbolisiert, berichtet vom ungerechten Umgang des Gewaltherrschers mit seinen Untertanen. Mit einem sehr viel weicheren musikalischen Duktus wird sein Gegenpart, der Naturmensch Enkidu, vorgestellt. Nach einem heftigen Streit versöhnen sich die beiden. Von nun an verbindet sie eine enge Freundschaft. Doch Enkidu erkrankt und stirbt. Mit einem durch Streicher begleiteten Choralsatz fasst der Chor zusammen: „Wen, mein Freund, vernichtet nie der Tod? Nur Götter leben ewig, die Tage der Menschen sind gezählt“. Im letzten Abschnitt sucht Gilgamesch unversöhnlich und verzweifelt seinen Freund wiederzufinden. Er will wissen, welche Erfahrungen Enkidu nach dem Tod gemacht hat. Auf dem musikalischen Höhepunkt rufen Chor und Solisten in einer Art musikalischen Rausch „Enkidu, steig aus dem Grab, steig aus dem Grab“.

Vor „Gilgamesch“ erklingen zwei kürzere Orchesterwerke. Charles Ives „The Unanswered Question“ (1906) trägt den Untertitel „Eine Betrachtung einer ernsthaften Angelegenheit“. Die Trompetenstimme hebt immer wieder mit einem fünf Töne umfassenden Motiv an, eine Wendung, die oft als eine Art „Sinnfrage“ beschrieben wird. „Seelenvoll“ und „mit innigster Empfindung“ beschreibt Gustav Mahler den Vortrag an bestimmten Stellen in seiner „Adagietto“ aus der Symphonie Nr. 5 (1901). Ergänzt durch die Solo-Harfe bringen die Streicher die menschliche Sehnsucht im Zeitlupentempo und mit den erhabensten harmonischen Folgen zum Ausdruck. Die Konzertabende finden unter der Leitung von Felix Schuler-Meybier (Nürtingen) und Mary Ellen Kitchens (München) statt.

„Das Gilgamesch-Epos ist eine große assyrisch-babylonische Dichtung, die in Keilschrift auf Tontafeln aufgezeichnet wurde, die wahrscheinlich aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. oder vielleicht aus noch früherer Zeit stammen…

…Trotz der gewaltigen Fortschritte, die wir in Technik und Industrie gemacht haben, fand ich, dass die Gefühle und Fragen, die die Menschen bewegen, sich nicht verändert haben und dass sie in der Literatur der ältesten Völker, von denen wir Kunde haben, ebenso vorhanden sind wie in der unseren. Es sind Fragen der Freundschaft, der Liebe und des Todes. In dem Gilgamesch-Epos wird sehr intensiv und mit fast schmerzhafter Ängstlichkeit der Wunsch laut, die Antworten auf jene Fragen zu finden, Antworten, nach denen wir bis jetzt vergebens suchen.

Meine Komposition befasst sich mit den folgenden Ereignissen: Gilgamesch, der große König von Uruk, wird gefürchtet und verehrt wie ein Gott. Er schließt Freundschaft mit Enkidu, einem merkwürdigen Manne. Enkidu ist der ursprüngliche Mensch im Naturzustand. Er hat lange in Unwissenheit und Sorglosigkeit gelebt. Die Tiere, die er verteidigte, waren seine Freunde. – Um diesen gefährlichen Widersacher zu gewinnen, sandte Gilgamesch eine Frau zu ihm, eine Tänzerin aus dem Tempel der Istar, die ihn verführte. Als Enkidu seine Unschuld verloren hatte, fürchteten ihn die Tiere und flohen bei seinem Nahen. Er folgt der Frau in die Stadt, in der man Brot isst und Wein trinkt und in der es Tänze und Feste gibt. Seine Lebensweise ändert sich rasch, aber er begreift auch, dass er arbeiten muss, um seinen Unterhalt zu verdienen. Er wird ganz bleich, und es kommt ein Augenblick, in dem er mit Bedauern an seine Jugend zurückdenkt. Er kämpft gegen Gilgamesch, aber schließlich werden die beiden Waffenbrüder. Die beiden Helden schließen enge Freundschaft.

Eines Tages wird Enkidu krank. Gilgamesch beobachtet ihn – einen Tag, zwei Tage, elf Tage; aber er rührt sich nicht, er ist tot. Die ihm wesensfremde Frage des Sterbens erhebt sich vor Gilgamesch. Er begreift nicht, dass Enkidu für immer von ihm gegangen ist, „ dass es die Erde war, die ihn nahm“. Er beginnt, um sich selbst zu fürchten, um sein Leben. Er bittet die Götter, ihm seinen Freund zurückzugeben, aber die Götter bleiben stumm, er erhält keine Antwort. Gilgamesch macht sich auf, die Unsterblichkeit zu suchen, aber er weiß jetzt: „ Nur Götter leben ewig, die Tage des Menschen sind gezählt. Freue dich deshalb, Tag und Nacht, sei glücklich und zufrieden, Nacht und Tag.“

Er stößt leidenschaftliche Bitten aus, er fleht die Götter an, ihm zu gestatten, seinen Freund Enkidu wenigstens für einen Augenblick wiederzusehen. Durch die Kraft seiner Beschwörung öffnet sich die Erde, und der Geist des Enkidu erscheint wie ein Hauch. Gilgamesch fragt ihn angstvoll darüber aus, was er in jener anderen, unbekannten Welt gesehen hat. Mit diesem pathetischen und höchst düsteren Monolog schließt das Epos.“

Bohuslav Martinů